Starke Texte
«Countryside» mit starken Texten von Jürg Vollmer
«Lobbyierende Kantone» – Politologin Rahel Freiburghaus analysiert den Schweizer Föderalismus
Buch-Rezension und Foto von Jürg Vollmer
Nicht nur die Wirtschaft und Verbände lobbyieren im Bundeshaus, immer stärker auch die 26 Schweizer Kantone. Die Berner Politologin Rahel Freiburghaus zeigt im Buch «Lobbyierende Kantone», wie sich die Schweizer Kantonsregierungen gegenüber dem Bund Gehör verschaffen.
Lange haben die Kantone den Gesetzgebungsprozess der Schweiz vernachlässigt. Die Konferenz der kantonalen Landwirtschaftsdirektoren LDK hat zum Beispiel erst im Juli 2020 ihr Generalsekretariat im Haus der Kantone in Bern eingerichtet. Dort, an der Speichergasse 6 in Bern, arbeiten die Sekretariate der verschiedenen kantonalen Regierungsrats- und Direktorenkonferenzen.
Das Buch «Lobbyierende Kantone» gibt Einblick in die «Maschinerie»des Schweizer Föderalismus
Rahel Freiburghaus hat die Strategien aller 26 Kantonsregierungen systematisch recherchiert. Entstanden ist ein einmaliger Blick in die «Maschinerie» des Schweizer Föderalismus – die heute wild vor sich hin rattert.
Unter der «Motorhaube» einer gut eidgenössischer Ordnung aus Konferenzen und Konkordaten kocht es nämlich gewaltig, erklärt Freiburghaus: «Das Kantonslobbying ist ungezähmt, es herrscht ein freies Spiel der Kräfte. Und es existiert keine Transparenz darüber, wer wo welche informellen Absprachen trifft.»
Umkehrt sind die Ständeräte schon lange keine Kantonsvertreter mehr, sondern Parteipolitiker. Regierungsräte, die gleichzeitig im Ständerat sitzen, gibt es praktisch nicht mehr.
Im Bundeshaus sind die Kantone je nach Strategie die Taktierer, die Diskreten oder die Maximierer
Die neuen Lobbyisten der Kantone fragen: Bekommt mein Kanton mehr Geld oder zahlt er drauf? Erhält er Kompetenzen oder muss er sie abgeben? Dagegen haben die Kantone gemäss Freiburghaus verschiedene Strategien entwickelt:
- Die Taktierer, wie Bern oder Zürich, die sehr gezielt, dafür umso hart-näckiger Geschäfte beackern.
- Die Diskreten, vor allem ländliche Kantone, die zurückhaltend ans Werk gehen.
- Die Maximierer, wie Genf, die Waadt und Freiburg, Luzern und das Tessin, die alle Mittel einsetzen.
Die Maximierer beantworten jede Vernehmlassung (mit welcher der Bund die Kantone zur Kommentierung neuer Gesetze usw. einlädt), sie organisieren Briefings der Parlamentarier vor Kommissionssitzungen oder Treffen mit Kadern der Bundesverwaltung und putzen auch mal direkt dem Direktor eines Bundesamtes die Kutteln.
Und wenn die Kantonsregierungen die Bundesbeamten aus ihrem Kanton zum Apéro einladen, wird erwartet, dass die Beamten danach in Bundes-Bern für die Heimat lobbyieren.
Der Bund will die «Maschinerie» der 26 Kantone zähmen
Besonders erfolgreich sind die Kantone, wenn sie sich im Vorfeld untereinander einigen und geschlossen gegen den Bund auftreten.
Kein Wunder, möchte der Bund das Lobbying der Kantone einschränken, Transparenz schaffen und so die wild ratternden «Maschinerie» zähmen.
Für Rahel Freiburghaus wäre eine sinnvolle Lösung, die Staatsebenen zusammenzuführen: Bund und Kantone sollten sich in einem gemeinsamen Gremium versammeln, das die Kompetenz hätte, verbindliche Entscheidungen zu fällen. Die Idee scheitert an der Realität: «Wir sind im typisch schweizerischen Durchwurstel-Modus. Niemand ist glücklich mit dem Ist-Zustand, aber alle Beteiligten haben sich damit arrangiert.»
Rahel Freiburghaus: Bauerntochter und Politologin
Die Berner Politologin Rahel Freiburghaus (28) ist als Bauerntochter in Mühleberg BE aufgewachsen. Sie ist eine der vielversprechendsten neuen Stimmen in der Schweizer Politikwissenschaft.
Freiburghaus hat an der Universität Bern studiert und ihre Dissertation zum Einfluss der Kantonsregierungen auf die Bundespolitik geschrieben. Sie arbeitet dort als Post-Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft IPW von Professor Adrian Vatter.
«Lobbyierende Kantone» von Rahel FreiburghausTaschenbuch, 550 SeitenNomos Verlag, 1. Auflage 2024ISBN 978-3756014088153 Franken