Starke Texte

«Countryside» mit starken Texten von Jürg Vollmer

«Countryside» führt Sie in das Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, Politik und Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie (und zwischendurch auch mal in die USA).
Bei gefühlten 100‘000 Gesetzen für die Landwirtschaft ist Entrümpeln schrötig aber nötig

Bei gefühlten 100‘000 Gesetzen für die Landwirtschaft ist Entrümpeln schrötig aber nötig

Editorial von Jürg Vollmer

Die Eidgenössischen Wahlen haben wir hinter uns. Schauen wir also nicht zurück, sondern nach vorne. Die jetzt gewählten Politiker sollten das tun, wofür sie gewählt wurden: Unser Land – und dazu gehört auch die Landwirtschaft – führen. Davon hat man in den letzten vier Jahren nicht allzu viel gemerkt.

Die Landwirtschaft hat nicht zu viele Probleme, sondern zu viele Lösungen. Wobei man Lösungen in Anführungszeichen setzen muss. Denn was in Parlament und Verwaltung «produziert» wird, ist oft nicht einmal das Papier wert, auf dem es gedruckt wird.

Ich habe mir auf der Pressetribüne im Bundeshaus fast einen Schranz in die Hosen gelacht, als der Nationalrat im Turbo-Tempo beschloss, dass Schnecken (!) jetzt Nutztiere sind. In der Schweiz gibt es gerade ein Handvoll Schneckenzüchter und die Produktion von Schneckenfleisch wird mit zusammengerechnet (!) 400 Kilo pro Jahr nicht einmal statistisch erfasst.

Nur weil ein Tessiner Nationalrat die Hobby-Schneckenzucht seines Nachbarn in der Magadino-Ebene mit den 350 Millionen Franken Umsatz der Schneckenproduktion in Italien vergleicht, beschliesst das Parlament, dass Schnecken neu Nutztiere sind.

Die Industrie- und Handelskammer St. Gallen stellte schon 2017 resigniert fest, dass seit dem Jahr 2000 die amtliche Gesetzessammlung des Bundes um 113 000 Seiten gewachsen ist. Man möchte nicht wissen, wieviele Seiten die Gesetzessammlung des Bundes bis Ende 2023 zählt.

Ein besonders absurdes Beispiel für eine neue Regelung ist die Einführung der 3,5 Prozent Acker-Biodiversitätsförderfläche. Weil die Acker-BFF so durchdacht ist wie ein Lausbubenstreich – sogar Bio Suisse hält sie in dieser Form für nicht umsetzbar – muss sie das Parlament zum zweiten Mal um ein Jahr verschieben.

Die (wieder-)gewählten Nationalräte und Ständeräte haben es in der Hand, die Regulierungsdichte auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren. Zum Beispiel mit dem Ansatz, den jeder Landwirt kennt: Bevor man neue Geräte oder Maschinen kauft, wird der Schopf entrümpelt.

Parlament und Verwaltung sollten für jede neue Regelung eine alte Regelung aufheben müssen – oder besser drei Regelungen. Das Entrümpeln ist schrötig, aber nötig.

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