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Schaffen die Bauernproteste den Schlüsselmoment zur 10-Prozent-Evolution?

Schaffen die Bauernproteste den Schlüsselmoment zur 10-Prozent-Evolution?

Editorial von Jürg Vollmer

Die «Révolte agricole Suisse» ist nur ein Revöltchen. Gut gemeint und als «Ventil auf dem Dampfkochtopf» genau zur richtigen Zeit gekommen. Aber über die gleichnamige Facebook-Gruppe hinaus wird sie nichts bewirken, das liegt in der Natur einer Revolte, erklärtermassen der Aufstand einer kleinen Gruppe.

Die Online-Petition des Schweizer Bauernverbandes SBV könnte aber in einem Schlüsselmoment kommen, in dem Agrarpolitik sowie Organisationen und Unternehmen der Schweizer Landwirtschaft so unter Druck stehen, dass sie zu Veränderungen gezwungen sind.

Der Schweizer Bauernverband fordert von den Organisationen und Unternehmen eine Erhöhung der Produzentenpreise um mindestens 5 bis 10 Prozent noch in diesem Jahr – und von Bundesrat und Bundesämtern einen Verzicht auf Sparmassnahmen auf Kosten der Landwirtschaft und eine administrative Vereinfachung.

Das ist keine Revolution (also kein abrupter und grundlegender Systemwandel), sondern nur eine Evolution, eine Entwicklung.

Aber mit dieser Evolution setzt der Schweizer Bauernverband den Hebel am richtigen Ort an. Die meisten Organisationen und Unternehmen der Landwirtschaft gehören de jure den Landwirten: Die drei grössten Milchverarbeiter Emmi, Cremo und Hochdorf mit den Zentralschweizer Milchproduzenten ZMP im Hintergrund, aber auch die Label-Organisationen Bio Suisse und IP-Suisse, die 7-Milliarden-Agrargenossenschaft Fenaco und viele andere.

Diese Organisationen und Unternehmen hätten es in der Hand, die Produzentenpreise zu erhöhen. De facto ist es aber so, dass die Landwirte dort wenig bis nichts zu sagen haben – oder lieber die Faust im Hosensack machen.

Dabei könnten Landwirte vor der Generalversammlung oder Delegiertenversammlung «ihrer» Organisation oder «ihres» Unternehmens ein Traktandum «Erhöhung der Produzentenpreise um 10 Prozent» beantragen. Die Basisdemokratie funktioniert mit Hand hoch halten und nicht mit der Faust im Hosensack.

Unterstützung gibt es dabei vom Schweizer Bauernverband. Dieser wird Verhandlungen mit Organisationen und Unternehmen neu koordinieren, um sicherzustellen, dass zum Beispiel Branchenorganisationen gegenüber Detailhändlern und Discountern eine gemeinsame Strategie verfolgen. Und wenn nötig, wird der SBV auf übergeordneter Ebene intervenieren.

Denn selbst mit 10 Prozent höheren Produzentenpreisen müssten zum Beispiel Milchverarbeiter nicht verlumpen. Die zusätzlichen 7 Rappen für 1 Liter Rohmilch könnten an den Handel überwälzt werden. Und dieser kann seine hohen Margen verringern – was nur anständig wäre – oder die Mehrkosten an die Konsumenten weitergeben, was wahrscheinlicher ist.

Parallel dazu will der Schweizer Bauernverband seine zweite Forderung – den Verzicht auf Sparmassnahmen auf Kosten der Landwirtschaft und eine administrative Vereinfachung – mit allen Kräften in der Politik durchsetzen.

Ob der SBV seine Forderungen tatsächlich durchsetzen kann, das weiss niemand. Vielleicht erleben wir aber den berühmten Schlüsselmoment, in welchem der Schweizer Bauernverband mit seiner Petition genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.

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