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Cremo – der zweitgrösste Milchverarbeiter der Schweiz im Krisenmodus

Cremo – der zweitgrösste Milchverarbeiter der Schweiz im Krisenmodus

Text & Bild: Jürg Vollmer

Von 2017 bis 2022 musste die Cremo S.A. über 30 Millionen Franken Verluste einstecken. Nach diesen fünf schwierigen Jahren mussten Beim zweitgrössten Milchverarbeitungsunternehmen der Schweiz Köpfe rollen und man fragt sich: Wie konnte es so weit kommen?

Cremo ist das zweitgrösste Milchverarbeitungs-Unternehmen der Schweiz – nach Emmi und vor Hochdorf, Estavayer Lait ELSA (Migros) und Züger Frischkäse. Das Unternehmen mit Sitz in Villarssur-Glâne FR erlebte in seiner bald hundertjährigen Geschichte viele Höhepunkte – von 2017 bis 2022 aber auch schwere Rückschläge.

Die Gründungszeit und die frühen Jahre der Cremo

Die Cremo S.A. wurde in einer Zeit gegründet, in der die Schweizer Landwirtschaft noch stark von Familienbetrieben dominiert wurde. Die Cremo-Gründungsväter erkannten die Bedeutung der Milchverarbeitung als Kern der ländlichen Wirtschaft und setzten auf die Zusammenarbeit mit lokalen Milchbauern.

Die Wurzeln der Cremo liegen in den landesweiten Verbands-Butterzentralen, die 1917 gegründet wurden. Diese sollten die Butterversorgung sicherstellen und den Markt regeln, weil die Butterproduktion in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 zusammenbrach.

Die Butterzentrale Freiburg wurde vom Milchverband Waadt-Freiburg und dem Milchverband der Berggebiete geführt und 1927 in die Cremo S.A. (Aktiengesellschaft) umgewandelt. Ihr Ziel war die Herstellung und Vermarktung aller Milch-Produkte und Nebenprodukte, die im Einzugsgebiet hergestellt wurden.

Die Direktlieferanten sind auch die (Haupt-)Besitzer der Cremo

Heute wird Cremo von drei Direktlieferanten-Organisationen beliefert:

  • APLC Association des producteurs de lait de Cremo (Freiburg)
  • APLCV Association des producteurs de lait de Cremo du Valais
  • VBMC Vereinigung Berner Milchproduzenten Cremo

Die Milchproduzenten aus den Kantonen Freiburg, Bern und Wallis beliefern die Cremo also direkt – ohne Zwischenhändler.

Cremo-Aktionäre sind heute vor allem die regionalen Milchproduzenten Organisationen, die wiederum die Landwirte vertreten:

  • 45,40% Freiburger Milchverband
  • 13,95% Milchlieferanten und Milchproduzenten
  • 9,03% Aaremilch AG (Migros)
  • 4,15% Ingredia SA (französische Molkereigenossenschaft)
  • 4,18% Walliser Milchverband WMV
  • 3% Vereinigung Berner Milchproduzenten Cremo VBMC
  • 1,97% Mooh
  • 8,16% Andere/eigene Aktien

Cremo war seit 1972 auf Expansions- und Innovations-Kurs

Über die Jahre hinweg expandierte Cremo stetig. Ab 1950 begann das Unternehmen mit der Einführung neuer Technologien in den Verarbeitungsprozess. Pasteurisierung, Homogenisierung und später auch die UHT-Behandlung waren wichtige Meilensteine, die nicht nur die Qualität und Sicherheit der Milchprodukte verbesserten, sondern auch deren Haltbarkeit.

Bis Ende der 1960er-Jahre stützte sich das Wachstum der Cremo vor allem auf die Erweiterung ihrer Produktepalette. Ab den 1970er-Jahren erfolgten eine ganze Reihe Übernahmen, Beteiligungen und Zusammenarbeitsverträge.

Übernahmen, Beteiligungen und Zusammenarbeitsverträge

In den 1970er- und 1980er-Jahren diversifizierte Cremo sein Produkte-Portfolio. Neben Frischmilch kamen neue Milch-Produkte dazu:

  • Gruyère AOP
  • Greyerzer Doppelrahm
  • Vacherin Fribourgeois AOP
  • Fondue moitié-moitié
  • Hart- und Halbhartkäse
  • Milch und Milchgetränke
  • Rahm und Joghurt
  • Butter

Das Unternehmen verstärkte auch seine Marketing-Anstrengungen und etablierte Cremo als Marke in der Schweizer Lebensmittelindustrie.

Der Absturz: Ab 2017 macht Cremo Verluste in Millionenhöhe

In den späten 1990er-Jahren begann Cremo, sich zunehmend auf Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung zu konzentrieren. Dies umfasste Investitionen in umweltfreundliche Produktionstechnologien und die Redaktion von CO2-Immissionen.

2015 wurden die Molkerei Wasserfallen in Lyss und die Molkerei Zaugg in Biel für die neu gegründete Bio-Molkerei Seeland BMS AG mit Standort in Lyss zusammengelegt, die 2020 wiederum durch eine Fusion in der Cremo aufging.

Die Bio-Molkerei Seeland kam exakt zur falschen Zeit

Mit Pelletheizung im Keller und Solarzellen auf dem Dach – 50 Prozent der Energie wurden inhouse produziert – und ausgefallenen Produkten wollte die Cremo SA mit der Bio-Molkerei Seeland AG diverser werden.

Nur: die Öko-Nische stand der ansonsten traditionellen Massenproduktion des Unternehmens gegenüber. Und die Produkte der Bio-Molkerei Seeland AG fanden keinen Absatz am Markt.

Zuerst musste Cremo die Quark-Produktion einstellen, wenig später dann das Joghurt-Sortiment reduzieren. Mit Gemüse-Frucht-Sorten wie Fenchel-Rhabarber-Joghurt zielte Cremo am Markt vorbei.

Die Maschinen in Lyss hätten jährlich 7 Millionen Kilo Milch verarbeiten können. Gestartet wurde mit 1,5 Millionen Kilo – bald waren es nur noch 1 Million Kilo und dann war fertig. Der Milchverarbeiter hatte den Markt falsch eingeschätzt und setzte mit seinem Prestigeprojekt – biologisch, regional, nachhaltig – Millionen in den Sand.

Nach den Expansionen muss Cremo vier Betriebe schliessen

Die Fusion mit der Bio-Molkerei Seeland AG war nur ein Abenteuer, das für die Cremo im Desaster endete:

  • Der Cremo Produktionsstandort Thun wird Ende August 2021 geschlossen und das Werksareal an die STI Bus AG in Thun verkauft. Cremo muss in Thun 40 Stellen abbauen.
  • Den Standort Lyss der früheren BioMolkerei Seeland BMS AG muss Cremo Ende Juni 2023 schliessen und 5 Stellen abbauen.
  • Petit Crémier, die regionale CremoLieferplattform für Gastronomie und Detailhandel schliesst den Standort Thun im September 2023 und baut 5 Stellen ab. Petit Crémier bleiben die Standorte in Freiburg, Lausanne, Sierre, Genf.
  • Bis Ende 2023 wurde die Produktion in Lucens VD an den Hauptsitz in Villars-sur-Glâne FR verlagert.

Nach 2017 erwirtschaftete das Unternehmen Verluste in Millionenhöhe:

  • 2017 −2,7 Mio Franken
  • 2018 −7,5 Mio Franken
  • 2019 +0,4 Mio Franken
  • 2019 bestätigte das Bundesgericht, dass Cremo dem Bund 2,8 Mio Franken zu unrecht bezogene Verkäsungszulage aus den Jahren 2006 bis 2015 zurückerstatten muss.
  • 2020 –3,1 Mio Franken
  • 2021 –2,9 Mio Franken
  • 2022 –21,5 Mio Franken
  • 2023 (Zahlen folgen im Juni 2024)

Hacker und Betrüger attackierten die Cremo

2022 hatten Hacker Daten von Cremo gestohlen und erpressten darauf das Unternehmen. Durch den Ransomware-Angriff waren E-Mails und der Zugriff auf Bestellungen und Rechnungen nicht mehr verfügbar. Dank grosser Anstrengungen gelang es, die Produktions- und Lieferfähigkeit aufrecht zu erhalten. Der Hacker-Angriff verursachte nicht Kosten von 4 Millionen Franken.

Im Mai 2023 kam heraus, dass Betrüger bei Cremo 32 Tonnen Gruyère- und Emmentaler-Käse im Wert von rund 300’000 Franken bestellt und auf dem Schwarzmarkt verkauft hatten. Die Betrüger hatten behauptet, das britische Luxus-Warenhaus «Harrods» und eine grosse Supermarkt-Kette zu beliefern.

Eine neue Unternehmensleitung soll die Cremo auf Kurs bringen

Nach den weitgehend tiefroten Jahren ab 2017 war 2023 klar, dass die Unternehmensleitung neu aufgestellt werden muss, um das Unternehmen aus der Krise zu führen.

Im Februar 2023 wählten die CremoAktionäre den ehemaligen Freiburger Staatsrat Georges Godel in den Verwaltungsrat und zum VR-Präsidenten. Der Verwaltungsrat wurde zudem mit zwei neuen Mitgliedern mit Kernkompetenzen in den Bereichen Produktion und Verkauf/Marketing verstärkt.

Im April 2023 wählte der mit Godel verstärkte Verwaltungsrat den damaligen Direktor der Fromage Gruyère SA, Ralph Perroud, zum neuen CEO. Dieser konnte – oder eher musste – sein Amt schon im August 2023 antreten.

Der neue CEO übernahm Ende 2023 zwar ein Unternehmen mit mehr Baustellen, als beim Jahrhundert-Umbau des Bahnhofs Bern – er bekam aber wenigstens zwei «Antrittsgeschenke»:

  • Per 1. Januar 2022 übernahm Cremo die auf Walliser Raclette-Käse spezialisierte Augstbordkäserei aus Turtmann VS.
  • Per 1. Januar 2024 übernahm Cremo die Marke Lattesso, deren Milchmischgetränke bereits seit ihrer Lancierung 2013 im Cremo-Werk in Siders VS hergestellt werden.

Die «Lattesso»-Getränke stehen bei Migros und Coop, Aldi und Lidl sowie in den meisten Schweizer Kiosken in den Verkaufsregalen. «Lattesso» ist hinter «Caffè Latte» von Emmi die Nummer zwei der Milchmischgetränke auf dem Schweizer Markt. Mit einer hohen Brutto-Marge ist «Lattesso» ein Glücksfall für den neuen CEO.

Das Transformationsprogramm CAP 2027 soll Cremo retten

Perroud will mit dem auf drei Jahre angesetzten Transformationsprogramm CAP 2027 mit ehrgeizigen 52 Projekten insgesamt über 20 Millionen sparen. Dabei sollen unter anderem Prozesse verbessert und rationalisiert, der Fokus auf das Kerngeschäft und die Rentabilität erhöht werden.

Mit dem ehemaligen Direktor der Fromage Gruyère SA an der Spitze will Cremo in den nächsten Jahren mehrere Dutzend Millionen Franken in die Erneuerung von veralteten Maschinen und Anlagen insbesondere in der Käse- und Butterherstellung sowie die Digitalisierung investieren.

Ab 2024 will Cremo wieder schwarze Zahlen schreiben, und bis 2027 sollen die Finanzen wieder im Lot sein. Rechtzeitig zum grossen Jubiläum. 100 Jahre zuvor wurde die Butterzentrale Freiburg in die Aktiengesellschaft Cremo umgewandelt.

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